Uns würde interessieren, wie eure „Kennenlern-Geschichte“ abgelaufen ist. Seit wann kennt ihr euch und wie habt ihr euch kennengelernt?
ALEXANDER: Das war wirklich eine sehr außergewöhnliche Geschichte: Alexandra und ich waren im Oktober 2023 auf einer Reise durch Marokko. Dabei stand auch die Stadt Fés auf unserer Liste, wo wir nach der langen Reise abends ankamen und nur schnell etwas essen gehen und dann ins Bett wollten. Wir entdeckten einen kleinen Straßenstand, der Sandwiches verkaufte, doch leider sprach der Verkäufer kein Englisch und wir kein Französisch oder Arabisch, also versuchten wir es mit Händen und Füßen. Ein paar Jugendliche bemerkten unsere Bemühungen und einer der Jungs, der Leser kann sich denken wer, bot uns seine Hilfe an. Auch er sprach kein Englisch. Nur Arabisch, Französisch und zu unserer großen Verblüffung Deutsch! Anass bestellte für uns hervorragende Sandwiches, begleitete uns auch zurück zum Hotel. Dabei erzählte er, dass er seit zwei Jahren Deutsch lerne, aber noch nie die Gelegenheit hatte, mit Deutschen zu sprechen. So bot er uns dann noch an, uns am nächsten Tag die Medina zu zeigen. Wir verabredeten uns und verbrachten wir einen herrlichen Tag in Fés. Anass hat uns alles gezeigt, wir lernten uns etwas besser kennen und er hat uns erzählt, dass er gerne eine Ausbildung in Deutschland machen würde.
Viele Menschen lernen sich im Urlaub kennen und tauschen Kontakte aus, jedoch verlaufen die allermeisten Bekanntschaften dann doch wieder im Sand. Wie war es bei euch?
ALEXANDRA: Wir haben unsere Freundschaft über WhatsApp gehalten und weiter ausgebaut. Er erzählte uns von seinem Alltag und wir ihm von unserem. Für uns war klar, dass wir Anass gerne dabei helfen möchten, seinen Traum einer Ausbildung in Deutschland möglich zu machen. Wahrscheinlich hätte er das auch ohne unsere Mithilfe geschafft, aber zu der Zeit fehlten ihm die richtigen Kontakte, um einen Schritt weiterzukommen. Ich habe mich also von Deutschland aus etwas umgehört und so nahm die Geschichte weiter ihren Lauf. Es war im Grunde wie ein Projekt, an dem wir beide, Anass und ich, zusammengearbeitet haben. Insgesamt hat es ein Jahr gedauert, bis Anass dann nach Deutschland kam. In diesem Alter seine Heimat zu verlassen und in ein fremdes Land zu ziehen, ist kein Kinderspiel. Kurz nach seiner Ankunft in Deutschland besuchten wir ihn das erste Mal in Oppenau und über den Jahreswechsel hat er uns dann in Berlin besucht. Ich denke, so werden wir das weiter beibehalten.
Konntet ihr Anass bei seinem Bewerbungsverfahren in Deutschland unterstützen?
ALEXANDRA: Anass hatte sich auf mehrere Ausbildungsstellen in Deutschland beworben und hatte ebenso mehrere Vorstellungsgespräche, die online umgesetzt wurden. Ich war zwar mit den gängigen Tools vertraut, aber es gab auch Systeme, die ich noch nicht kannte. Anass und ich haben die Bewerbungsgespräche vorher geübt: Ist die Verbindung stabil? Welche Fragen hat er? Was wäre gut über den Ausbildungsplatz zu erfahren? usw. So konnte er sich auf die Gespräche vorbereiten. Wir haben uns einmal pro Woche online getroffen, um Deutsch zu sprechen. Das hilft dem Vokabular für weitere Gespräche und auch dann in Deutschland.
Welche Vorteile seht ihr für Anass, seine Ausbildung in Deutschland und beim Vincentius-Verein zu absolvieren?
Wir haben großen Respekt vor Anass’ Entscheidung, sein Land zu verlassen und ein Leben in Deutschland zu beginnen. Er hätte auch in Marokko studieren können, allerdings sind die Chancen, daraufhin eine gute Arbeit zu finden, sehr gering. Wir freuen uns, dass Anass mit seiner Ausbildung in Deutschland die Chance auf eine sichere und erfüllte Zukunft hat. Sicher ist die Umstellung nicht leicht, vor allem am Anfang. Bei unserem ersten gemeinsamen Besuch in Oppenau fragte uns Anass zum Beispiel, wo denn all die Leute seien. Das Straßenbild seiner Heimat ist eben ganz anders: Jeder ist fast immer draußen und die Straßen sind eher zu belebt. Wir freuen uns sehr, dass Anass die Ausbildung gerade in Oppenau begonnen hat. Bereits in Fés hat er uns erzählt, dass er sich gerne in der Natur aufhält, spaziert und am allerliebsten Fußball spielt. Alles Dinge, die sich in Oppenau hervorragend umsetzen lassen. Außerdem bekamen wir bei unserem Besuch den Eindruck, dass sich seitens des Vincentius-Vereins sehr gut um ihn gekümmert wird.
Wie bist du auf den Vincentius-Verein Oppenau aufmerksam geworden?
ANASS: Als ich auf der Suche nach Ausbildungsstellen im Internet recherchiert habe, bin ich auf die Website des Vereins gestoßen, die mich sofort angesprochen hat. Was mich besonders dazu bewogen hat, mich beim Vincentius-Verein zu bewerben, war die familiäre und unterstützende Atmosphäre, die der Verein vermittelt. Ich hatte den Eindruck, dass hier die Werte der Mitarbeiter und Auszubildenden wirklich geschätzt werden. Außerdem gefällt mir die Lage des Hauses in einer natürlichen Umgebung sehr gut. Diese Kombination aus professionellem Umfeld und menschlicher Wärme hat meine Entscheidung maßgeblich beeinflusst.
Wie waren für dich die ersten Tage und Wochen in Deutschland und in Oppenau?
Meine ersten Tage in Deutschland waren sehr spannend, aber auch eine große Herausforderung, da es meine erste Reise in ein fremdes Land war. Glücklicherweise wurde ich von Daniela Roth und von Friedhilde Hesse sehr herzlich empfangen und gut begleitet. Sie haben mich bei allen wichtigen Angelegenheiten unterstützt. Der größte Unterschied war für mich die Sprache und besonders der Dialekt in Oppenau, den ich noch mehr lernen muss. Auch kulturell war vieles neu für mich, denn das soziale Leben hier unterscheidet sich doch stark von dem in Marokko. Inzwischen habe ich mich eingelebt, nicht zuletzt durch die Unterstützung von Alexandra und Alexander, denen ich mein Leben lang sehr dankbar sein werde. Ich will noch etwas ergänzen bezüglich unseres Kennenlernens: Damals hatte ich vom Fußballtraining einen anderen Weg nach Hause genommen – und damit direkt in Alexanders Leben. Wie wir in arabischer Sprache sagen قدّر الله („Gott hat beschlossen“ – Anmerkung der Redaktion).
Konntest du in Oppenau bereits Kontakte knüpfen – auch außerhalb der Arbeit?
Ja, besonders durch meine Leidenschaft für den Fußball. Ich spiele beim TuS Oppenau und habe dort viele nette Menschen kennengelernt. Die Menschen hier in Oppenau sind sehr freundlich und hilfsbereit und man hat das Gefühl, dass jeder jeden kennt. Dadurch habe ich schnell Anschluss gefunden und bereits einige Freundschaften geschlossen, auch wenn diese noch nicht sehr tief sind. Dennoch freue ich mich über diese ersten Kontakte, die mir das Leben hier erleichtern und bereichern.
Hast du geplant, nach der Ausbildung dauerhaft in Deutschland zu leben?
Mein Ziel ist es, meine berufliche und schulische Laufbahn in Deutschland voranzutreiben. Nach meinem Abitur in Marokko habe ich mich bewusst entschieden, nach Deutschland zu kommen, um hier eine dreijährige Ausbildung in der Pflege zu absolvieren. Ich möchte meine Ausbildung erfolgreich abschließen, Berufserfahrung sammeln und mich beruflich weiterbilden. Für die kommenden 15 bis 20 Jahre plane ich, in Deutschland zu bleiben, um mein Potenzial bestmöglich zu entfalten. Wie es danach weitergeht, kann ich noch nicht genau sagen, aber im Moment sehe ich meine Zukunft hier.